Gedanken zur aktuellen Entwicklung und Situation im ambulanten Bereich in der D.A.CH-Region
Gerhard Kammerlander
Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die ambulante Situation in der Wundversorgung erheblich weiterentwickelt und verändert. In der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) gibt es heute eine Vielzahl lokaler Anbieter für Wundmanagement-Weiterbildungen sowie wachsende Strukturen in der häuslichen, ambulanten Wundversorgung. Diese Strukturen umfassen sowohl privat organisierte Versorger, die in einem wachsenden Markt agieren, als auch gemeinnützige Organisationen wie z. B. Arbeiter-Samariterbund, Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Spitex-Schweiz Volkshilfe.
Gerhard Kammerlander, MBA, akad.BO, DGKP/ ZWM®-ZertifizierterWundManager nach §64 GuKG
Im Bereich des Wundmanagements gibt es trotz modernster Technologien und fortschrittlicher Behandlungsansätze immer noch weit verbreitete Missverständnisse und Trugschlüsse, die den Heilungsprozess verlangsamen können.
1. Mythen und Trugschlüsse im Wundmanagement
Einer der häufigsten Trugschlüsse ist die Annahme, dass Lufttrocknung von Wunden die Heilung beschleunigt. Lange Zeit propagierten Ärzte und Pflegekräfte, Wunden an der Luft zu lassen, um die Heilung zu fördern. Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass feuchte Wundheilung der Schlüssel zu einer schnelleren und besseren Regeneration der Haut ist. Eine feuchte Umgebung fördert die Zellmigration und vermindert Schorf und führt zu weniger Narbenbildung.
Ein weiterer weitverbreiteter Irrtum betrifft die Verwendung von antiseptischen Lösungen. Oft wird angenommen, dass der regelmäßige Einsatz von Desinfektionsmitteln die beste Methode ist, um Infektionen zu verhindern. Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass viele dieser Mittel die Wundheilung eher behindern als fördern, da sie bei zu langer Anwendung auch gesunde Zellen schädigen können und dadurch die Wundheilung verzögern. Deshalb gilt bei Antiseptika wie z. B. PVP-Jod eine gezielte Kurzzeitanwendung von unter einer Woche. Insbesondere bei sekundär heilenden, chronischen oder schwer heilenden Wunden mit starker mikrobieller Belastung sind seit mehr als zwei Jahrzehnten statt dessen moderne, sanftere Wundspüllösungen wie z. B. Polihexanid, Octenidindihydrochlorid, Aktiver Sauerstoff alias HOCl/NaOCl-Gruppe verfügbar.
Aktuelle Entwicklungen und evidenzbasierte Ansätze
Die Forschung hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, um den Irrtümern und Trugschlüssen bei der Wundbehandlung entgegenzuwirken. Ein Fokus liegt auf der Entwicklung von bioaktiven Wundauflagen und Wundfüllern. Diese Auflagen und Wundfüller sind speziell darauf ausgelegt, durch kontrolliertes Feuchthalten des Wundmilieus die körpereigenen Wundheilungsvorgänge zu unterstützen. Dabei gibt es in beiden Gruppen auch Produkte welche bspw. die Wundreinigung, die Wundgranulation, die Epithelisierung durch zusätzliches Freisetzen von inkorporierten Hilfs- bzw. Wirkstoffen unterstützen.
Zusätzlich zu den Materialinnovationen hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen die Wundbehandlung revolutioniert. Spezifische Gesundheits-Apps und telemedizinische Lösungen für das Wundmanagement ermöglichen eine engmaschige Überwachung und Dokumentation des Heilungsverlaufs und bieten eine Informationsbrücke zwischen den verschiedenen Akteuren am Patienten.
Dies fördert eine personalisierte Behandlung und ermöglicht dank Echtzeitdaten, dass Pflege- und Fachkräfte schneller auf Veränderungen des Wundzustandes reagieren und mit den ärztlichen Behandlern und Verordnern interagieren können.
Zunehmend vereinheitlichte Fortbildungsinhalte
Schulungsanbieter und Institutionen im Bereich Wundmanagement haben mittlerweile ihre Fortbildungsinhalte weitgehend den wachsenden Erfordernissen der Praxis angepasst und zum Teil einander angeglichen. Nach Initiierung einer Ausbildung auf dem Gebiet des Wundmanagements in den 1990er Jahren durch die Akademie ZWM® als Pionier in der Schweiz und den nationalen Wundgesellschaften wie der Austrian Woundmanagement Assoziation (AWA) in Österreich und der Deutschen Gesellschaft für Wundbehandlung (DGfW) in Deutschland ist dies aufgrund der heute verfügbaren, empirischen und wissenschaftlichen Grundlagen auch nachzuvollziehen.
2. Die Umsetzung im ambulanten
Praxisalltag
Der Weg zur optimalen Wundbehandlung ist gepflastert mit der Bereitschaft, alte Gewohnheiten zu hinterfragen und offen für neue, wissenschaftlich fundierte Ansätze zu sein. Nur so können wir sicherstellen, dass im Wundmanagement Irrtümer und Trugschlüsse der Vergangenheit angehören.
Trotz der Vielzahl an nationalen und internationalen Positionspapieren, Leitlinien, Fachartikeln sowie regulatorischen Vorgaben seitens der Versicherungen und Krankenkassen finden verfügbare Erkenntnisse im tagtäglichen Wundmanagement vor Ort am Patienten oft noch keine hinreichende Berücksichtigung.
Neben den wissenschaftlichen Grundlagen sind insbesondere gut dokumentierte Behandlungsdaten aus der Praxis (Real-Life-Daten) von zentraler Bedeutung für die wissenschaftliche Evidenz. Eine präzise und umfassende Dokumentation sowie Analyse von Daten aus der Wundbehandlungspraxis (Patient Reported Outcome Measures – PROMs) leistet einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung und Optimierung des Wundmanagements.
Damit die ambulante Versorgung hohe Anforderungen erfüllen kann, ist eine Unterstützung auf gesetzlicher Ebene sowie eine aktive und konstruktive Zusammenarbeit mit den Krankenkassen unerlässlich. Um eine flächendeckende und qualitativ hochwertige ambulante Wundversorgung sicherzustellen, müssen zudem seitens der Politik und Krankenkassen die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden.
Trotz gesetzlicher Neuerungen wird die länderspezifische Implementierung von Innovationen im Wundmanagement in der Praxis oftmals durch bürokratische Hürden erschwert und verlangsamt (insbesonders in Deutschland und Österreich). Dies kann in langen Genehmigungsverfahren und einer oft komplexen Erstattungsstruktur von Krankenversicherungen liegen. Die Schweiz ist aus dieser Kritik ausgenommen, denn hier gibt es bereits landesweit installierte und etablierte Mechanismen, unter welchen Bedingungen und Behandlungstarifen eine möglichst optimale Wundversorgung stattfinden darf und soll.
Aktuelle Beispiele sind die Implementierung spezialisierter Wundeinrichtungen in Deutschland sowie der Aufbau und Ausbau privat organisierter ambulanter Wundbehandlungseinrichtungen in Österreich. Trotz der Novellierungen durch den G-BA und die ÖGK verzögern sich die tatsächlichen Umsetzungen in der ambulanten Versorgung in beiden Ländern erheblich. Dies liegt an einem komplexen Geflecht von Hürden und der oft zitierten „Autonomie der einzelnen Bundesländer“ in dieser Sachlage.

Typischer Behandlungsraum in einem WZ-WundZentrum Deutschland (www.wundzentren.de)
Ausbildung, Weiterbildung, Qualitätssicherung
Der Bedarf an spezialisierter Aus- und Weiterbildung für medizinisches Personal im Wundmanagement wird als essenziell erachtet. Jedoch bestehen weiterhin erhebliche Lücken in den landesweit einheitlichen Programmen und Standards. Zwar sind die curricularen Inhalte auf dem Papier oft ähnlich, allerdings erfolgt die Überprüfung im realen Schulungs- oder Studienbetrieb selten durch unabhängige externe Auditoren oder Fachleute. Dies ist besonders bedenklich, da es in diesem Bereich der Weiterbildung und Behandlung seit Jahrzehnten etablierte Qualitätssicherungsstandards wie ISO 9001, ISO 21001 und EN 15224 gibt. Es lohnt sich also bei jedem Anbieter zu überprüfen, welche Qualitätssicherungssysteme bereits vorhanden sind und was aus der Historie des entsprechenden Schulungsanbieters bekannt ist.
Auch bei der Angabe der Kurs- oder Studiengebühren ist oft nicht eindeutig ersichtlich, welche Leistungen im Preis inbegriffen sind. Günstige Tarife erscheinen auf den ersten Blick vorteilhaft, doch bei genauerer Betrachtung sind häufig wichtige Dienstleistungen wie Bildungsunterlagen, Verpflegung oder die Nutzung der Weiterbildungsorte (z. B. Klassenzimmer, Hotel) nicht enthalten.
Darüber hinaus werden in den Curricula teilweise Bildungsinhalte gefordert, die im täglichen ambulanten Behandlungsalltag von Wundpatienten kaum oder gar nicht umsetzbar sind, wie bspw. die Integration der Hyperbaren Oxygenierung (HBO).
Für den in der Praxis tätigen Wundspezialisten sind insbesondere Inhalte von Bedeutung, die tatsächlich umsetzbar, praktikabel und bezahlbar sind. Auf diese Aspekte sollte besonders Rücksicht genommen werden. Es ist wichtig, dass von den Therapeuten vor allem solches beherrscht wird, was auch ambulant am Patienten angewendet und von den Versicherungsträgern unterstützt wird. So sind Hautpflege und Ernährung ebenfalls essenzielle Bausteine in der Therapie von Patienten mit chronischen Wunden und um die Wunde und ihre Umgebung möglichst lange vital zu erhalten, auch in der anschließenden Sekundärprophylaxe. Dennoch werden diese beiden grundlegenden Parameter bei Patienten mit chronischen oder schwer heilenden Wunden in der Regel nicht von den Krankenkassen unterstützt. Da die finanzielle Situation vieler dieser Patienten häufig eingeschränkt ist, fehlt es ihnen oft an der Möglichkeit, in diesen beiden Bereichen optimal versorgt zu werden. Dies entzieht einer großen Anzahl chronisch kranker Wundpatienten die notwendige Unterstützung, die für eine effektive Behandlung und Sekundärprophylaxe entscheidend wäre.
Technologische Fortschritte
Obwohl kontinuierlich neue Produkte entwickelt und technologische Fortschritte erzielt werden, erfolgt deren Integration in bestehende Gesundheitssysteme oft nur schleppend. Dies ist häufig auf die Diskrepanz zwischen Innovation und regulatorischer Akzeptanz zurückzuführen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Versuch, den Einsatz silberhaltiger Wundprodukte sowie antimikrobieller Wundspüllösungen in der ambulanten Wundversorgung von der Kassenerstattung auszuschließen (trifft auf Deutschland zu).
Dabei handelt es sich um zwei moderne therapeutische Systeme, die für die Patientensicherheit und die Förderung der Lebensqualität in der Praxis von entscheidender Bedeutung sind. Selbstverständlich muss der indikations- und phasengerechte Einsatz dieser Produkte die Grundlage jeder Behandlung sein. Es ist jedoch inakzeptabel, derartige wichtige Produkttypen von der Erstattung durch die Krankenkassen auszuschließen, insbesondere wenn diese Produkte bereits seit Jahren oder sogar Jahrzehnten erfolgreich in der Patientenbehandlung eingesetzt wurden. Die realen Konsequenzen für die ambulante Versorgung, insbesondere bei älteren Patienten mit einem erhöhten Risiko für wiederkehrende lokale Infektionen, sind erheblich: Ohne diese Produkte muss häufiger der Verband gewechselt werden, was sowohl erheblich die Patientensicherheit als auch die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigt und letztendlich auch die Kosten für das Gesundheitssystem erhöht.
Patientenzugang und -aufklärung
Es wird zunehmend betont, dass Patienten besseren Zugang zu Informationen benötigen, um aktiv an Entscheidungen im Rahmen einer partizipativen Gesundheitsversorgung mitzuwirken. In diesem Zusammenhang sind verständliche und für den Patienten umsetzbare Informationsmaterialien, wie Broschüren und digitale Medien von entscheidender Bedeutung. Diese sollen nicht nur den Patienten selbst, sondern auch Co-Behandlern und dem sozialen Umfeld helfen, die erforderlichen Therapiemaßnahmen besser zu verstehen und zu unterstützen.
3. Fazit: Schluss mit „Trug“ im Wundmanagement – durch evidenzbasierte, praxisnahe, umsetzbare Ansätze und moderne Konzepte
In der DACH-Region werden pro Jahr nach Schätzungen und Kassendaten ca. 3 Millionen Patienten mit chronischen oder schwer heilenden Wunden behandelt. Die Patientenzahl nimmt nicht ab, sondern wird in den kommenden Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung sogar zunehmen.
Der Anteil von Gefäßerkrankungen wie PAVK und metabolische Störungen wie Diabetes mellitus steigt im Krankheitsprozess schwer heilender Wunden stetig an, was die Komplexität der therapeutischen Maßnahmen weiter verschärft. Um die Qualität der Wundversorgung zu verbessern, ist es daher unerlässlich, dass das medizinische Fachpersonal kontinuierlich auf Basis aktueller Forschungsergebnisse fortgebildet wird. Nur durch fundierte Aufklärung und die Anwendung evidenzbasierter Methoden kann zum Wohle der Wundpatienten ein echter Fortschritt im Wundmanagement erzielt werden.
Die Implementierung moderner Technologien und innovative Materialien spielen eine entscheidende Rolle in diesem Wandel und legt den Grundstein für eine verbesserte Patientenversorgung. Dabei ist es jedoch von großer Bedeutung, dass sowohl die politische Unterstützung als auch die tatsächliche Umsetzbarkeit durch die Krankenkassen weiter verbessert werden, insbesondere in der ambulanten Wundversorgung.
Wenn all diese Faktoren harmonisch zusammenwirken (aktuelle Erkenntnisse, reale Möglichkeiten der Umsetzbarkeit, politischer Wille, aktive Unterstützung durch die Krankenkassen), werden Fehlentwicklungen im Wundmanagement unwahrscheinlicher. Dadurch könnten wir auf Basis bereits vorhandener und zukünftiger Erkenntnisse sowie innovativer Produkte eine höhere Qualitätsebene erreichen, die für alle betroffenen Wundpatienten real und zugänglich ist.
Autor:
Gerhard Kammerlander, MBA. Akad. BO, DGKP/ZWM®, GF – WKZ®-WundKompetenzZentrum® Linz (AT) und Embrach /Zürich (CH), GF – Akademie-ZWM®, Embrach/Zurich (CH) und Linz (AT); Prasident ARGE ZWM®-ZertifizierterWundManager®, Akademie-ZWM® AG, Schützenhausstr. 30, CH-8424 Embrach, www.akademie-zwm.ch