Volker Großkopf
Die Aufgabenmigration im Gesundheitsdienst wird aufgrund demografischer Veränderungen, Fachkräftemangel und erhöhter Nachfrage nach Gesundheitsleistungen immer relevanter. Eine Methode, diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf qualifiziertes Pflegepersonal. Der Artikel fokussiert sich dabei auf das scharfe Débridement, eine Methode zur Entfernung von infiziertem, geschädigtem oder abgestorbenem Gewebe aus chronischen Wunden, und beleuchtet die rechtlichen Aspekte dieser vertikalen Arbeitsteilung.
Die European Wound Management Association (EWMA) definiert das Débridement als eine grundlegende Entfernung von anhaftendem, abgestorbenem oder kontaminiertem Gewebe aus Wunden. Es ist meist der erste Schritt in der phasenadaptierten Wundbehandlung und fördert die Wundheilung entscheidend. Es gibt verschiedene Methoden des Débridements, von der non-invasiven autolytischen Methode bis hin zur chirurgischen Methode mittels eines Skalpells.
Unterscheidung zwischen chirurgischem und scharfem Débridement
Das Positionspapier der Initiative Chronische Wunden (ICW) e. V. unterscheidet zwischen dem chirurgischen und dem scharfen Débridement. Das chirurgische Débridement umfasst eine vollständige Abtragung von avitalem Gewebe bis in intakte Gewebestrukturen und ist ausschließlich für geschultes ärztliches Personal bestimmt. Das scharfe Débridement geht hingegen nur bis an den Rand des avitalen Gewebes. Hier stellt sich die Frage, ob diese Form des Débridements auch von nicht ärztlichem Personal – also von Pflegefachkräften – durchgeführt werden kann.
Rechtliche Rahmenbedingungen der Aufgabenübertragung
Um diese Frage einer Beantwortung zuführen zu können, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Migration ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliches Fachpersonal einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Das scharfe Débridement wird üblicherweise mit Werkzeugen wie scharfen Löffeln, Küretten, Skalpellen oder Pinzetten durchgeführt. Sie erfordert ein tiefes Verständnis der Wundmorphologie und Wundheilung sowie eine sorgfältige Handhabung.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Aufgabenübertragung im Gesundheitswesen sind komplex. Hinsichtlich des scharfen Débridements gibt es keine Rechtsvorschriften, welche dieses Handlungskonvolut zum Gegenstand haben. Mithin muss auf die Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Eine Leitentscheidung im Rahmen der Aufgabenmigration stellt das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 24.7.2008 (4 U 1857/07) in RDG 2008, Seite 240 ff dar. Das Oberlandesgericht Dresden beschäftigt sich in dieser Entscheidung mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die ärztliche Tätigkeit einer radioaktiven Isotopenmarkierung von nichtärztlichem Personal wahrgenommen werden kann. Der in dieser Entscheidung vom Gericht ausgearbeitete Übertragungsalgorithmus ist nunmehr bei der Fragestellung, ob das scharfe Débridement eine zu übertragende Tätigkeit ist, heranzuziehen.
Bewertung der Übertragbarkeit des scharfen Débridements
Nach dieser Entscheidung muss bei der Aufgabenmigration zunächst die Frage der objektiven Gefährlichkeit der Maßnahme einer Beurteilung zugeführt werden. Mit anderen Worten, es muss geklärt werden, ob das scharfe Débridement dem Kernbereich ärztlichem Handeln zuzuordnen ist. Dies wäre dann der Fall, wenn die Schwierigkeit und Komplexität der Aufgabe, das Risiko für den Patienten und die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen so hoch einzuordnen ist, dass eine solche Maßnahme nur von entsprechend geschulten Ärzten wahrgenommen werden kann. Eine solche Bewertung kann allerdings nicht von Juristen, sondern nur von entsprechendem Fachpersonal mit sachverständiger Expertise vorgenommen werden.
Die Expertengruppe der Initiative Chronische Wunden e. V. (ICW) hat in ihrem Positionspapier die Frage dahingehend beantwortet, dass das scharfe Débridement nicht dem Kernbereich ärztlichen Handelns zuzuordnen ist und damit grundsätzlich auf nichtärztliches Personal delegiert werden kann. Im nächsten Schritt ist die subjektive Fähigkeit des Delegaten zu klären.
Subjektive Fähigkeit des pflegerischen Fachpersonals
Die subjektive Fähigkeit umfasst die formelle und materielle Qualifikation des nichtärztlichen Empfängers eines ärztlichen Delegationsauftrags.
- Die formelle Qualifikation bezieht sich auf die Ausbildung des Pflegepersonals, die auf landes- und/oder bundesrechtlichen Ausbildungsregelungen basiert. Das Positionspapier der ICW erwähnt verschiedene Gesundheitsfachberufe, die diese Qualifikationen erfüllen sollten. Als formelle Qualifikation ausreichend sind unter anderem Pflegefachpersonen mit dreijähriger Ausbildung nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz oder dem neuen Pflegeberufegesetz.
- Die materielle Qualifikation bezieht sich darauf, dass das scharfe Débridement sach- und fachgerecht durchgeführt wird. Dies erfordert die Beherrschung der Technik und den Umgang mit den eingesetzten Medizinprodukten sowie die Fähigkeit, auftretende Komplikationen zu bewältigen, bis ein Arzt eingreifen kann. Nach Auffassung der Expertengruppe der ICW kann das scharfe Débridement, welches nur bis an den Rand des avitalen Gewebes geht, von qualifiziertem und geschultem Pflegepersonal durchgeführt werden. Die Expertengruppe weist in diesem Zusammenhang noch daraufhin, dass für den Fall des Auftretens von Komplikationen ein entsprechendes Notfallkonzept vorliegen sowie eine ärztliche Dichte gegeben sein sollte.
Haftungsschutz
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das scharfe Débridement nicht zu den regelhaft pflegerischen Aufgaben gehört. Zur Vermeidung einer persönlichen Haftung wegen eines Behandlungsfehlers sollte mit dem Haftpflichtversicherer geklärt werden, ob Versicherungsschutz für die Übernahme und Durchführung des scharfen Débridements durch Pflegepersonen besteht.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Aufgabenmigration im Gesundheitswesen, insbesondere hinsichtlich des scharfen Débridements, erfordert eine sorgfältige Abwägung von rechtlichen und fachlichen Aspekten, um eine sichere und effektive Patientenversorgung zu gewährleisten. Aufgrund der Wichtigkeit dieses Themenkomplexes wird Prof. Dr. Joachim Dissemond auf dem Interdisziplinären WundCongress (IWC) am 28. November www.wundcongress.de sich diesem Themenschwerpunkt in seinem Vortrag „Das scharfe Débridement“ widmen.
Ein Dank ist abschließend der Expertengruppe der ICW auszusprechen, denn das Positionspapier bietet eine wertvolle Orientierung und könnte als Wegweiser für weitere Delegationsprozesse dienen, um Arbeitssicherheit und Patientenschutz zu gewährleisten.
Weiterführende Literatur:
- Positionspapier der Initiative Chronische Wunde (ICW) e. V. zur Nomenklatur des Débridements chronischer Wunden: https://www.springermedizin.de/wundbehandlung/wunddebridement/positionspapier-der-initiative-chronische-wunde-icw-e-v-zur-nome/20062506
- Volker Großkopf: Das scharfe Débridement in
der Wundversorgung (rechtsdepesche.de) - Volker Großkopf: Das Dilemma der ärztlichen Anordnung in der Wundversorgung (rechtsdepesche.de)
- Volker Großkopf: Die Qualitätsanforderungen zur Behandlung chronischer und schwerheilender Wunden werden angehoben – Rechtsdepesche.
Autor:
Prof. Dr. Volker Großkopf, Präsident des IWC, Präsident des Pflegefortbildung des Westens – JHC, Geschäftsführer der PWG-Seminare, Herausgeber der RDG, Salierring 48, 50677 Köln.